KI und die Ironie der Automatisierung

Gastbeitrag von Dipl.-Ing. Wolfgang Freiseisen, Geschäftsführer der RISC Software GmbH

Künstliche Intelligenz steuert zwar die Produktion, der Mensch muss bei Notfällen aber immer noch manchmal „retten“. © AdobeStock / industrieblick
Künstliche Intelligenz steuert zwar die Produktion, der Mensch muss bei Notfällen aber immer noch manchmal „retten“. © AdobeStock / industrieblick
Dipl.-Ing. Wolfgang Freiseisen, Geschäftsführer der RISC Software GmbH © RISC Software GmbH
Dipl.-Ing. Wolfgang Freiseisen, Geschäftsführer der RISC Software GmbH © RISC Software GmbH

30.12.2019

Moderne KI ist nicht unfehlbar, denken wir an das Beispiel des autonomen Teslas, der einen querenden Truck für ein Plakat am Straßenrand hielt. Die Folgen sind bekannt. In komplexen Systemen sind Fehler unvermeidlich und wir benötigen daher ein neues Zusammenspiel von Mensch und Maschine.

Man kann und soll die „Intelligenz“ von künstlicher Intelligenz (KI) kritisch betrachten und viele KI-basierte Erfolgsmeldungen als das bewerten, was sie sind: Marketingaussagen. Fakt ist, dass sich KI derzeit enorm schnell weiterentwickelt und in immer neue Bereiche vordringt. Die organisatorische Entwicklung hinkt hinterher, oft gefühlt als die neue Entdeckung der Langsamkeit.

Vermeidbare Fehler

Wenn in einer Produktionsanlage ein halber Waggon mit fertigen Stahlprodukten automatisch beladen wurde, dann die Qualitätskontrolle Mängel der Oberflächenbeschaffenheit feststellt, ist nicht nur die Waggonladung, sondern auch ein Teil des Stahlprodukts in der Produktionsanlage verloren. Zu dem entstandenen Schaden addieren sich noch die Kosten für den Produktionsausfall durch die Stehzeit der Anlage zur Suche, Behebung und Umrüstung. Dies wäre zu vermeiden gewesen, wenn frühzeitig erkannt worden wäre, dass eine Maschinenkomponente heiß läuft und dies auf einen geplatzten Kühlschlauch zurückzuführen ist.

Mensch rettet die Situation

Früher wurde dies rascher – weil vom Menschen – erkannt, es waren immer genug Facharbeiter an der Maschine. Dank der fortschreitenden Automatisierung ist dies nicht mehr notwendig. Dieses Problem wird manchmal auch als Ironie der Automatisierung bezeichnet. Der Mensch wird als schwächstes (oder teuerstes) Glied aus der (Produktions-) Kette eliminiert, um dann im Notfall die Situation zu retten.

Predictive und prescriptive

Eine laufende optische Qualitätsprüfung in unserem Beispiel würde das Problem rascher erkennen. Man könnte die Anlage auch an den neuralgischen Punkten mit Sensoren ausstatten. Die gemessenen Datenströme werden mit den Zustandsvariablen der Anlage kontinuierlich und vorausschauend („predictive“) ausgewertet. Das Ziel ist, Anomalien in den Daten zu entdecken, diese richtig zu interpretieren und rechtzeitig zu handeln („prescriptive“). In unserem Fall: Hoppla, ein Kühlschlauch ist geplatzt, die Anlage muss verlangsamt werden, der Schlauch erneuert. Sobald die Maschinenkomponente wieder im normalen Temperaturbereich ist, wird die Anlage wieder auf die normale Geschwindigkeit gebracht. Genau das hätten ExpertInnen gemacht, wenn sie dort gewesen wären – sind sie aber dank Automatisierung nicht!

Maschinelles Lernen

Ein derartiges System interagiert mit ExpertInnen in mehrfacher Hinsicht. Zuerst bei der Konzeption des Systems, dann beim Training und im laufenden Betrieb. Da nicht alle kritischen Situationen zum Training des Systems durchgespielt werden können, muss das System mögliche künftige kritische Situationen während des Betriebs unter Einbindung der ExpertInnen lernen. Dafür werden KI-Methoden - oder präziser: Methoden des maschinellen Lernens - mit wissensbasierten Systemen kombiniert. Die Automatisierung und selbstständige Entscheidungsfindung werden also über einen modellbasierten Ansatz, gesteuert von menschlichen Experten, erreicht.

Engineer in the loop

Dieses Teilgebiet der KI wird Prescriptive Analytics genannt. Es ist eine Weiterentwicklung der klassischen Predictive Analytics in Richtung entscheidungsunterstützend und Automatisierung von Handlungen. Ein System mit diesen Fähigkeiten ermöglicht es ExpertInnen, zu jedem Zeitpunkt über den Zustand der Anlage Bescheid zu wissen, in kritischen Fällen rechtzeigt vor Ort zu sein und die richtigen Handlungen zu setzen. Dieser Ansatz wird in der Literatur auch als „Engineer in the loop“ bezeichnet und ist derzeit einer der erfolgreichsten im industriellen Umfeld, da er die Stärken der Maschine mit der Erfahrung und Kreativität des menschlichen Experten kombiniert.

www.risc-software.at


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