Digitale Skills für die Servicetechniker von morgen

Forum Service des Mechatronik-Clusters widmete sich der Kundenzufriedenheit und neuen Geschäftsmodellen durch die Digitalisierung

Digitale Services war das Thema des Forum Service des Mechatronik-Clusters. © AdobeStock/NicoElNino
Digitale Services war das Thema des Forum Service des Mechatronik-Clusters. © AdobeStock/NicoElNino
„Ein Webshop ist noch kein digitales Geschäftsmodell.“ Jana Frank, Bereichsleiterin Dienstleistungsmanagement FIR e.V. an der RWTH Aachen © FIR e. V. an der RWTH Aachen
„Ein Webshop ist noch kein digitales Geschäftsmodell.“ Jana Frank, Bereichsleiterin Dienstleistungsmanagement FIR e.V. an der RWTH Aachen © FIR e. V. an der RWTH Aachen

22.07.2020

Servicetechniker müssen keine Programmierer sein, um die Digitalisierung zu meistern. Sie müssen lernen, digitale Tools zu verwenden. Digitalisierung ermöglicht höhere Kundenbindung und -zufriedenheit sowie effizientere Wartung und Reparatur von Maschinen und Anlagen. Das sind einige Erkenntnisse des Forum Service, das vom 25. Juni bis 9. Juli in vier Online-Sessions stattfand. 68 Interessierte waren der Einladung des Mechatronik-Clusters der oö. Standortagentur Business Upper Austria gefolgt.

Servicetechniker werden wir auch in Zukunft brauchen, doch sie müssen digitale Skills erwerben. Josef Wolfartsberger vom Center of Excellence for Smart Production des FH OÖ Campus Steyr präsentierte in diesem Zusammenhang Forschungsergebnisse zum Thema Virtual, Augmented und Mixed Reality. Dabei hat sich gezeigt, dass Virtual Reality (VR) das „Plateau der Produktivität“ erreicht hat, sich aber gut für Trainings- und Ausbildungszwecke – gerade auch bei Servicetätigkeiten – eignet. „Die visuelle und auditive Darstellung von beispielsweise CAD-Daten funktioniert gut“, sagt der Forschungsleiter, „auch Tracking funktioniert gut mit VR und der relativ niedrige Preis spricht ebenfalls für die Technologie.“
 

Digital Natives im Vorteil?

Weniger gut schneidet VR bei der Darstellung komplexer Daten ab. Sichtfeld und Bewegungsfreiheit der Nutzer sind eingeschränkt, manche klagen über sogenannte Motion Sickness – den Menschen wird beim Benutzen einer VR-Brille also schwindlig und übel. Auch bei Augmented Reality (AR) ortet Wolfartsberger in seinen Tests noch Nachteile, obwohl sich die Technologie rasant entwickelt. „Vor allem die derzeit noch verfügbare Hardware wie sogenannte Smart Glasses ist noch wenig geeignet für AR“, weiß der Forscher. Ansonsten decken sich Vor- und Nachteile in etwa mit jenen von VR. Auch die Frage, ob Digital Natives einen beruflichen Vorteil haben, weil ihnen VR und AR aus Computerspielen vertraut sind, wurde erörtert. Fazit: Sie finden sich schneller mit veränderten Bedingungen in der digitalen Welt zurecht und haben weniger Angst vor „Zerstörung“ durch Fehler. Doch auch Digital Immigrants können digitale Skills jederzeit erlernen, beispielsweise in den maßgeschneiderten Schulungen des Qualifizierungsverbunds „Digitale Kompetenz & IT-Security“ der oö. Standortagentur Business Upper Austria oder mit dem umfangreichen Qualifizierungsprogramm des Mechatronik-Clusters.
 

Intelligente Maschinen für Industrie 4.0

Man muss also weder Gamer noch Programmierer sein, um digitale Services voll nutzen zu können. Denn die fehlende Expertise in den Bereichen Big Data, Data Science und Künstliche Intelligenz (KI) können sich Maschinenbauer von Experten holen. Davon ist Michael Breidenbrücker, CEO der Senseforce GmbH, überzeugt. Das Unternehmen hat sich auf intelligente Maschinen für das Industrial Internet of Things (IIoT) spezialisiert. „Unsere Kunden spüren den steigenden Druck, Maschinendaten in komplexe IT-Systeme zu integrieren“, erzählt Breidenbrücker, „sie suchen nach simplen, schnellen, skalierbaren Möglichkeiten, um von Machine Data zu Data Apps zu kommen.“ Die Lösung von Senseforce: Die Daten werden von der Maschine in die Cloud und dann zu Data-Apps und Services transferiert.
 

„Ein Webshop ist noch kein digitales Geschäftsmodell“

Die Digitalisierung ist also auch für produzierende Betriebe die Chance, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln und neue Kundenschichten zu gewinnen. Darauf wies Jana Frank vom Forschungsinstitut für Rationalisierung (FIR) an der RWTH Aachen hin. „Ein Webshop allein ist allerdings noch kein digitales Geschäftsmodell“, erklärt sie. Frank hat mit ihrem Team des Bereichs Dienstleistungsmanagement ein Vier-Phasenmodell zum erfolgreichen Vertrieb und Markteintritt von Smart Services entwickelt. „Das Produkt steht heute meist nicht mehr im Vordergrund“, sagt Frank, „der Kunde will eine Lösung für seine Probleme und ist auch bereit, dafür zu zahlen.“
 

Kundenbindung wächst

Eine Möglichkeit sind Subscription-Modelle, die sich radikal an den Bedürfnissen des einzelnen Kunden orientieren und das ständige Adaptieren der Services ermöglichen. Es kommt zu einer neuen Form der Interaktion und der Wertschöpfung. „Subscription-Modelle generieren einen sogenannten Lock-In-Effekt – sprich, der Kunde will nicht mehr weg“, ergänzt Frank. Dafür muss sich das Unternehmen allerdings in ein datengetriebenes, lernendes Unternehmen verändern.
 

Digitalisierung auf der Baustelle

Vorbildlich umgesetzt hat dies beispielsweise der Schalungsspezialist Doka mit seiner Online-Kundenplattform. Sie ermöglicht es der Baustellenleitung u.a., rasch einen Überblick darüber zu erhalten, welches Material in welchen Mengen im eigenen Lager verfügbar ist, auf welcher Baustelle oder bei Doka lagert. Die Service-App ermöglicht somit effizienteres Materialwirtschaftsmanagement. „Auch am Bau rechnet sich die Digitalisierung“, betonte Projektmanager Benedikt Kammerstaetter, „35 % der Unternehmen im europäischen Baugewerbe haben in den vergangenen drei Jahren Digitalisierungsprojekte umgesetzt. 52 % berichten von einfacheren Prozessen, 44 % von mehr Umsatz, 40 % von einem besseren Betriebsergebnis, 47 % von einer gesteigerten Mitarbeiterzufriedenheit, 51 % von erhöhter Kundenzufriedenheit, 48 % von neuen Kunden.“
 

Erweitertes Ticketsystem durch Add-ons

Eine ähnliche Kundenplattform für durchgängige Wartung und Instandhaltung hat auch der Maschinenbauer DMG Mori entwickelt. Die Maschinen sind über Add-ons, also digitale Schnittschnellen, mit dem Portal verbunden, das wie ein Ticketsystem funktioniert. „Unsere zufriedenen Kunden berichten, sie würden dadurch ihre Anlagenverfügbarkeit und die Produktionskapazität steigern sowie Optimierungen direkt im Prozess vornehmen können. Durch vorausgefüllte Serviceanträge behalten sowohl die Kunden als auch wir als Hersteller den Überblick über gemeldete und bereits durchgeführte Wartungsarbeiten“, sagte Servicemanager Clemens Walenta. Die Problembeschreibung wurde verbessert und 70 Prozent der Servicefälle werden bereits beim ersten Technikereinsatz gelöst. Das System kann auch Maschinen von Drittanbietern einbinden. Damit können alle Elemente eines Produktionsprozesses und nicht nur einzelne Bereiche abgebildet werden.
 

Big Data in der Industrie

Datenanalyse, Algorithmen und Künstliche Intelligenz (KI) bzw. Artificial Intelligence (AI) gewinnen für Industrie 4.0 immer mehr an Bedeutung . Carina Klaffl von Craftworks veranschaulichte an zahlreichen Use Cases die Einsatzmöglichkeiten von Industrial AI. Gleichzeitig zeigte sie auch, dass die Umsetzung eines erfolgreichen KI-Projekts schon mit der detaillierten Planung beginnt. Es gilt, klare Ziele zu definieren und für alle nötigen Bereiche Verantwortliche zu nominieren und deren Zuständigkeiten festzulegen. Die Daten müssen so vorbereitet werden, dass sie für das konkrete Projekt auch nutzbar sind. Weiters braucht es ihrer Erfahrung nach eine Machbarkeitsstudie und einen Prototypen.
 

Licht im Begriffsdschungel

Klaffl erklärte auch die Unterschiede der verschiedenen Begriffe: „AI ist der Überbegriff für alles, wofür normalerweise menschliche Intelligenz benötigt wird. Machine Learning und Deep Learning sind Unterkategorien.“ Beim Machine Learning hat ein Algorithmus definierte Aufgaben gelernt oder gelernt, definierte Ziele zu erreichen. Beispielsweise kann ein Computer ein Modell der Regenmengen berechnen, wenn er die Anzahl der Straßenhändler, die vor dem Kolosseum Regenschirme verkaufen, kennt. Beim Programmieren gibt es Unterschiede: Regelbasiert heißt, Daten und Regeln einzugeben und ein Resultat zu erhalten. Machine Learning bedeutet, Daten und das gewünschte Ergebnis einzugeben und der Computer berechnet die Regeln, die zu diesem Resultat führen.
 

So lernen Maschinen

Weitere Unterschiede gibt es bei der Art und Weise, wie die KI lernt. Man zeigt ihr z.B. Bilder von Kühen und Schafen mit der Erklärung, was was ist. Lernen mit solchen Labels heißt Supervised Learning. Unsupervised Learning heißt, man zeigt der KI Bilder von Kühen und Schafen ohne Erklärung, und sie muss selbst entscheiden, was die Kühe und was die Schafe sind. Für praktische Anwendungen ist dieser Aspekt wichtig, weil nicht immer Labels vorhanden sind und die KI selbst entscheiden muss, was zu tun ist.
 

Das Warum erhöht die Akzeptanz

Die Industriellen KI-Lösungen von Craftworks haben sich schon mehrmals in der Praxis bewährt. Ein Ziegelhersteller beispielsweise wollte seine Qualität verbessern und weniger Ausschuss produzieren. Welche Faktoren und welche Prozesse Einfluss auf die Ausschussmenge haben, wusste der Kunde nicht genau. Mit der KI-Lösung wurden die Parameter identifiziert und so die Qualität der Ziegel verbessert. Damit die Beschäftigten Künstliche Intelligenz von Maschinen besser akzeptieren, hat Klaffl die Erfahrung gemacht, dass dies eher gelingt, wenn die KI nicht nur vor einem Maschinenausfall warnt, sondern auch die Ursache nennt. In der Praxis hat sich das bei einem Projekt der Wien Energie bewährt, wo die KI schon sieben Tage im Voraus wusste, welche Anlagen der Wasserversorgung ausfallen werden und an welchen Parametern dies liegt. So konnten die Servicetechniker rechtzeitig die notwendigen Reparaturen durchführen und den Ausfall verhindern.
 

Intelligente Planung sichert Erfolg

Dass bei einem Digitalisierungsprojekt schon die Planung von Beginn an intelligent erfolgen muss, das betonte auch Philipp Wallner von The Mathworks GmbH. „Alle Anwendungsaspekte der digitalen Transformation machen die Wartung zu einer immer größeren Herausforderung“, sagte der Experte. Er empfahl die virtuelle Inbetriebnahme zur Bewältigung der Komplexität, Model Based Design sowie Digital Twins (Digitale Zwillinge) von Maschinen und Anlagen. Ein weiterer Tipp Wallners lautete: „Verwenden Sie Simulationsmodelle zur Erzeugung synthetischer Daten!“ Die Predictive Maintenance nannte Wallner als praktischen Anwendungsfall von KI in der Industrie 4.0, der schon gute funktioniere. Die KI nutzt hier von Sensoren erfasste Daten und Messwerte, um Maschinen und Anlagen vorausschauend zu warten.
 

Monitoring schützt Vermögenswerte

Ein anderer Begriff dafür ist Condition Monitoring (Zustandsüberwachung). Der Prozess überwacht den Zustand einer Maschine bzw. von einzelnen systemkritischen Komponenten. „Es geht darum, die Vermögenswerte, die Maschinen und Anlagen darstellen, vor Beschädigung zu schützen“, betonte Lars Petri von Rockwell Automation. Condition Monitoring ist ein grundlegender Baustein für Qualitätssicherung und -steigerung und reduziert – wenn er mit anderen intelligenten Komponenten verknüpft wird – die Wartungskosten.
 

EU-Projekt zu Industrial Services

Auch ein EU-Projekt beschäftigt sich mit digitalen Services der Zukunft: Interreg Central Europe ProsperAMnet. Es hat zum Ziel, Tools für KMU zu entwickeln, die Herstellern ermöglichen, mit Industriedienstleistungen neue Exportmärkte zu erschließen. ProsperAMnet steht für Progressing Service Performance and Export Results of Advanced Manufacturers Networks – frei übersetzt: Künstliche Intelligenz trifft Service Export Performance. Einer der Projektpartner ist der Mechatronik-Cluster, Leadpartner ist der Studiengang Global Sales & Marketing am FH OÖ Campus Steyr. Studiengangsleiterin Margarethe Überwimmer stellte beim Forum Service die vier bereits fertigen Tools vor: den Industrial Service Excellence Monitor (ISEM), das Online-Tool zur Förderung von Service Innovation Processes für SMEs (KMU) – SIP-SME, die Sales Excellence Pyramid (SEP) und ein Instrument zum Messen der interkulturellen Kompetenzen von Managern (MPICO). Am Ende des Projektes soll den Unternehmen ein Tool zur Verfügung stehen, das die Eintrittshürden in neue Märkte mit industriellen Dienstleistungen abschätzt: mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz und einer sich ständig aktualisierenden Datenbasis.

 

Qualifizierungsverbund Digitale Kompetenz & IT-Security:

www.digitalregion.at/qualifizierungsverbund

Die Schulungen werden vom Wirtschaftsressort des Landes OÖ und vom AMS OÖ gefördert.

 

Interreg Central Europe ProsperAMnet